Die Strichmännchen sind noch intestine in Type
Es ist ungewöhnlich, dass ein Unternehmen 25 Jahre lang auf die gleiche Werbekampagne setzt. Warum die Mobiliar das trotzdem so macht.
Schadenskizzen – der Marktauftritt der Berner Versicherung Mobiliar ist unverwechselbar. Die Kampagne wurde vor 25 Jahren lanciert. Als geistiger Urvater gilt der heute 78-jährige Werber Jean Etienne Aebi; er führte damals eine eigene Agentur, die später an die weltweit tätige Publicis-Gruppe überging.
Mobiliar-Chefin Michèle Rodoni sieht auch nach einem Vierteljahrhundert keinen Anlass, das Konzept zu ändern. Im Gegenteil: «Die Kampagne steht für Kontinuität und vermittelt so die Hauptbotschaft: ‹Wenn etwas passiert, sind wir für euch da›», sagt sie.
Wie kam es eigentlich, dass die Mobiliar diese Skizzen einführte? Sprecher Jürg Thalmann sagt: «Komplexe Schadenfälle treffend zu beschreiben, warfare für unsere Kundinnen und Kunden oft schwierig. Deshalb erreichten uns immer wieder witzige Schadenmeldungen.» Zum Beispiel diese: «Mein Sohn stiess gegen eine Vase und zerbrach.»
Die Schadenskizzen sind laut Thalmann wie ein Spiegelbild der Zeit und passen sich laufend den gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen an. Am meisten Anklang finden Sujets, die aktuelle Ereignisse aufnehmen. So wie beispielsweise jene mit dem Saharastaub.
Schadenskizzen als Volkssport
Inzwischen sei es wie ein Volkssport geworden, der Mobiliar Schadenskizzen zu schicken. Jürg Thalmann sagt, die Versicherung erhalte viele Rückmeldungen aus der Bevölkerung sowie Aufsätze von Schulklassen, zudem Movies und Zeichnungen. Oder immer wieder auch Anfragen – wie zum Beispiel diese:
«Liebe Mobiliar, ich habe eine besondere Frage. Ihr habt ein Werbeplakat, auf dem eine Frau namens Anke auf einem Anke (Essen) ausrutscht. Ich und meine Freundin haben uns genau vor diesem Plakat kennen gelernt. Kann ich dieses Plakat irgendwie erwerben? Ich würde es ihr gern zum Jahrestag schenken. Freundliche Grüsse, Matteo.»
Der Kunde hat das Plakat erhalten.
Die Köpfe hinter den Skizzen
Ursprünglich wurden die Skizzen von Grafikfachleuten mit Stiften zu Papier gebracht. Heute arbeitet Jan Theus, Artwork Director der Werbeagentur Jung von Matt, mit dem Pill. Die Ideen für die Zeichnungen kommen von ihm oder von Luca Schneider, dem Senior Artwork Director der Agentur. Letzterer entscheidet auch, welche Bilder der Mobiliar unterbreitet werden.
Inspirationsquellen sind nach wie vor Zeichnungen von Kunden, aber auch schriftliche Schadenmeldungen. Gewisse Sujets entspringen auch der Fantasie der kreativen Köpfe. Vor allem wenn die Szenen die Aktualität aufnehmen.
Werbung aus Kundenoptik
Harley Krohmer, Marketingprofessor an der Uni Bern, stimmt der Mobiliar-Chefin zu: «Kontinuität in der Werbung ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Die Kampagne mit den Schadenskizzen ist immer noch hochaktuell, zumal sie durch immer neue Beispiele und Geschichten verjüngt wird.»
Viele Unternehmen streben laut Krohmer diese Kontinuität in der Markenführung an, beispielsweise der Schokoladenhersteller Lindt mit der Figur des Maître Chocolatier, die Zigarettenmarke Camel mit dem Kamel oder der Kapselkaffeehersteller Nespresso mit Schauspieler George Clooney.
«Es ist per se schwierig, eine abstrakte Dienstleistung zu bewerben», sagt Zoé Waldenmeyer, Marketingexpertin an der Berner Fachhochschule, «man kann nichts anfassen oder betrachten.» Die Mobiliar-Werbung sei einmalig und geniesse Kultstatus, rühmt sie. «Da ist zunächst die Ansprache. Im Gegensatz zu anderen Versicherern werden hier nicht die eigenen Vorzüge beworben, sondern aus der Kundenoptik die Bedürfnisse anhand von Fallbeispielen geschildert.»
Die Anrede «Liebe Mobiliar» suggeriere Vertrauen, so spreche man einen Freund an, nicht unbedingt einen Geschäftspartner. Die Skizzen schafften eine emotionale Nähe zwischen Kunden und Versicherung, ohne aber unseriös zu wirken. Das Picture der Mobiliar als kulante Partnerin werde damit zementiert.
Wichtig sei auch die Skalierbarkeit: Es liessen sich immer neue Schadenssituationen kreieren, die mit einer Prise Humor gewürzt seien. Ihr sei kein Unternehmen bekannt, das eine vergleichbare Kampagne lanciert habe.
Doch Zoé Waldenmeyer warnt auch: Die Kampagne werde irgendwann nicht mehr funktionieren. Dann, sagt sie, sollte die Mobiliar eine neue Werbeidee lancieren – und auf keinen Fall versuchen, die Strichmännchen wiederzubeleben. Idealerweise fange die Versicherung schon heute damit an, sich Gedanken zu machen.
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